Inštitut za arheologijo ZRC SAZU
MODELL DER ETHNOGENESE DER SLAWEN AUF DER GRUNDLAGE EINIGER NEUERER FORSCHUNGEN
Andrej PleterskiSlawen
Der gotische Druck ließ in dem Augenblick nach, als 375 die Hunen in die am Schwarzen Meer gelegenen Steppen eindrangen (Abb. 8: 6). Die gotischen Gemeinschaften der Terwingen und Greutungen zerfielen, einige Jahre herrschte Krieg zwischen den Gruppen der betroffenen Gebiete nach dem Motto jeder gegen jeden, bis sie von den Hunnen in ihren Stammesverband eingegliedert wurden. Der Teil der gotischen Terwingen, der nicht zu den Römern flüchtete, fiel unter der Führung Athanarichs in das sarmatische Caucaland irgendwo in den südöstlichen Karpaten ein (Wolfram 1979, 80 f.). Die gotischen Greutungen unter der Führung Vidimirs - Vinitharius hingegen in das Gebiet der Anten (Abb. 9: 4), den Angehörigen der alanisch-osetischen Volksgruppe zwischen dem Don und dem Kaukasus (Wolfram 1979, 311 ff.). In diesem Raum werden die Anten schon von Plinius erwähnt (Naturalis historia VI, 35). Der Rückzug der Goten in das Randgebiet der ehemaligen Černjahiv-Kultur, in Richtung Westen nach Pannonien und weiter in Richtung Südosten bis zum Kaukasus, wird auf Tejrals Verbreitungskarte der Blechfibeln und Gürtelschnallen nachgewiesen, die eine ausgesprochene Veränderung im Besiedlungsbereich Ende des 4. Jhs. erkennen läßt (zitiert nach Bierbrauer 1992, Abb. 8). Der gotische Einfall konnte der Grund gewesen sein für die Abwanderung der Anten (Abb. 9: 5) in die Steppe zwischen dem Dnjepr und dem Dnjestr, wo sie bis zum 6. Jh. slawisiert wurden. Auf ähnliche Weise können wir uns die Slawisierung der Kroaten vorstellen, falls der iranische Personenname Horoathos in der antiken Inschrift aus Tanais an der Don-Mündung wirklich die erste Aufzeichnung ihres Namens ist (Bezlaj 1976, 205), der nach KatiČiæ (1993, 47) am wenigsten unwahrscheinlich iranisch ist.
Durch den Rückzug der Goten wurde der Bereich südlich des Gebietes der Kiewer Gruppe weitgehend entvölkert, vor allem ihre Herrschaft ging zugrunde, die neue hunnische war aber wirtschaftlich ganz anders ausgerichtet und sofort bereit, Stammesverbände zu schließen. Vom Standpunkt der heutigen Kenntnisse der Ethnogenese der Slawen sind die Angaben über die vermutlich slawishe Bevölkerung Pannoniens Mitte des 5. Jhs. keine Überraschung mehr. Die Leute dort aßen Hirse, tranken ein Getränk aus Honig ("medos") und ein anderes aus Gerste ("kamos"), sie kannten eine Bestattungsfeier ("strava"), sprachen eine Sprache, die weder hunnisch, noch gotisch, noch lateinisch war, worauf schon Niederle (1905, 135 ff.) hingewiesen hat, der sie, nicht ohne Grund, als Slawen betrachtet hat. Archäologisch wurden diese Slawen noch nicht nachgewiesen. Vielleicht handelt es sich um Slawen, die schon zuvor in gotischem Stammesverband gelebt und sich in ihrem materiellen Nachlaß ihrer Umgebung angeglichen hatten.
Ende des 4. Jhs. (Abb. 9) bildet eine Wende in der Besiedlung des Gebietes der Dnjepr- und Don-Wasserscheide. Die alte Bevölkerung zieht weg, wahrscheinlich nach Südosten, in den Bereich des linken Dnjepr-Ufers, der von der Černjahiv-Kultur verlassen wurde. Hier bildet sich die frühslawische Kultur des Typs Penkovka heraus. Ihre Entstehung kann man im Augenblick vor allem nach dem Fundort Hitcy beurteilen. Nach der Auffassung Oblomskijs ähnelt der frühen Penkovka-Kultur am meisten das Kiewer Material aus der Černjahiv-Epoche der Gruppe am Mittel-Dnjepr und der Gruppe an der Dnjepr- und Don-Wasserscheide (Oblomskij 1991, 124 ff.). Das deutet die Lösung an, daß einen bedeutenden Teil der Bevölkerung der Penkovka-Kultur Zuwanderer von der Dnjepr- und Don- Wasserscheide darstellen. Im nördlichen Teil des Gebietes, das von ihnen verlassen wurde, ließ sich nach Oblomskijs (1991, 122 f.) Analyse die Bevölkerung der Kiewer-Kultur aus der Gruppe an der Desna nieder, die schon alle Merkmale der frühslawischen KoloČin-Kultur aufweist.
Vor allem in der Ukraine ist das Modell verankert, das die Entstehung der dritten frühslawischen, der Prager-Kultur als genetische Fortsetzung der späten Černjahiv-Fundortgruppe erklärt, die im Gebiet der Zubra-Gruppe, der Nachfolgerin der Polesien-Gruppe der Zarubincy-Kultur überlebt haben soll (Baran 1990; Kozak 1992). Nach diesem Modell hätten wir eine Art zweifachen Ursprung der frühslawischen Kulturen: den Kiewer und den Černjahiv-Ursprung. Da die Fundorte, die das Modell beweisen sollten, unvollständig veröffentlicht sind, kann man nur auf einige nachweisbare Schwächen des Modells aufmerksam machen.
Zwischen der Prager und der Zubra-Gruppe klafft wenigstens eine hundertjährige Lücke, die von der Černjahiv-Kultur geschlossen wird (Kozak 1992, Ris. 3). Der Bereich der größten Dichte der Prager-Fundorte am Dnjestr und Prut liegt größtenteils außerhalb des Gebietes der Zubra-Gruppe. Die Nutzung eingetiefter Wohnbauten ist keine Besonderheit weder dieses Raumes noch dieser Zeit. Überzeugend erscheint die Feststellung, daß die Steinöfen hier ihren Ursprung haben, vielleicht in der Tat schon zur Zeit der klassischen Černjahiv-Kultur im 4. Jh., was allerdings eine genauere chronologische Untersuchung bestätigen müßte. Alle Autoren stimmen darin überein, daß es zum Bau der Steinöfen aufgrund der lokalen, sehr leicht zugänglichen Vorkommen an entsprechenden Steinen gekommen sei. Die Einführung der Steinöfen ist also geologisch bedingt. Schon bis zu diesem Punkt scheint an dem Modell etwas nicht zu stimmen. Das Beispiel des Fundortes Teremcy enthüllt seine weiteren Schwächen, denn es soll sich angeblich um einen typischen Vertreter derjenigen Gruppe der Černjahiv-Fundorte handeln, die den Ausgangspunkt der Entwicklung der Prager Kultur darstellen. Der Fundort ist zweischichtig, die untere Schicht datiert Baran (1990, 348) in das 4. Jh., hierzu gehören halbeingetiefte Grubenhäuser 3 und 13, die keine Öfen haben, die handgemachte Keramik stellt darin nur einen Anteil von 2% der Funde dar. Das Grubenhaus 13 wird bedeckt von Grubenhaus 10 mit Ofen, welcher der oberen Schicht aus der Zeit vom Ende des 4. bis zur ersten Hälfte des 5. Jhs. angehört (Baran 1988, Ris. 31; Baran 1990, 348). Wie der Fundort deutlich zeigt, kam es auch hier Ende des 4. Jhs. zu einem Besiedlungsbruch, die ältere Schicht gehört zur klassischen Černjahiv-Kultur und die neue unterscheidet sich wesentlich von ihr. Zugleich zeichnet sich ein wesentliches Mißverständnis ab; zu der Černjahiv-Kultur werden als späte Černjahiv-Fundstätten auch die vom Ende des 4. Jhs. und der ersten Hälfte des 5. Jhs. gezählt, die sich von der tatsächlichen Černjahiv-Kultur deutlich unterscheiden.
Über das eigentliche Ende der Černjahiv-Kultur wird schon lange diskutiert. Sehr klar wurden die Feststellungen von Bierbrauer (1992, 23) in der Auffassung zusammengefaßt, das Ende der Černjahiv-Kultur sei um 370/380 anzusetzen, als ziemlich viele Siedlungen niedergebrannt wurden, ein archäologischer Niederschlag des Verfalls der ostgotischen Greutungen, der von den Hunnen verursacht wurde. Die damit genetisch im Zusammenhang stehenden jüngeren Gräberfelder befinden sich nur noch in den Randgebieten des alten Bereiches an der Schwarzmeerküste, auf der Krim und außerhalb des alten Gebietes bis zum Nordkaukasus und Ober-Kuban. Anhand einer eingehenden Analyse wurde das Ende ihres Bestehens im späten 4. Jh. erneut von Tejral (1992, 235 f.) bestätigt. Daß die Spuren der Černjahiv-Kultur in der Schlußphase der Kiewer-Kultur (Ende des 4. Jhs., erste Hälfte des 5. Jhs.) stark abnehmen, bemerkte auch Oblomskij (1991, 99), was er mit der Abwanderung der "Černjahiv"-Bevölkerung erklärte (Oblomskij 1990, 148). Der größte Teil der Schicht des Fundortes Teremcy liegt in der Tat auf der Černjahiv-Siedlung, was aber nicht der Grund dafür sein kann, ihn zur Černjahiv-Kultur zu zählen. Die "Černjahiv"- Siedlungen des Typs Teremcy am Dnjestr und Prut sind demnach Post-Černjahiv-Siedlungen. Von den Černjahiv-Siedlungen desselben Gebietes unterscheiden sie sich dadurch, daß in deren Nähe noch keine Gräberfelder entdeckt wurden, was als Folge der Bestattungsbräuche anzusehen ist, die keine Spuren hinterlassen haben (Magomedov, Vakulenko 1990, 134). Die handgemachte Keramik ist jetzt vorherrschend, ihre Formtypen 1 - 5 treten an der Wende vom 4. zum 5. Jh. in Erscheinung (Baran, Terpilovskij, Magomedov 1990, 154), in den älteren Černjahiv-Fundorten kommen sie also nicht vor. Die aufgezählten Typen sollen miteinander verbunden sein durch den gemeinsamen Ursprung der Spät-Zarubincy-Gefäße oder durch das Material des zwischen den Flüssen Dnjepr, Dnjestr und West-Bug liegenden Gebietes aus dem ersten Viertel des 1. Jahrtausends, das Elemente der Zarubincy-Kultur enthält (Baran, Terpilovskij, Magomedov 1990, 154). Die Autoren suchen demnach den Ursprung in einem hundert bis zweihundert Jahre älteren Material der Zubra-Gruppe, obwohl sie zugleich gestehen, daß der 4. Typ in der Kiewer-Kultur einen der grundlegenden darstellt (Baran, Terpilovskij, Magomedov 1990, 154). In der Tat kann man alle 6 Typen der freihändigen Keramik der Fundortgruppe des Typs Teremcy im Bereich der Kiewer Kultur vorfinden, die ihre Formtypen noch aus der späten Zarubincy-Zeit besitzt (vgl.: Baran, Terpilovskij, Magomedov 1990, Ris. 24: 1 - 5, 7 - 9, 12, 13; Oblomskij 1991, Ris. 8).
Die "Černjahiv"-Fundorte des Typs Teremcy unterscheiden sich von den richtigen černjahiv- Fundorten desselben Gebietes durch die Baukunst, die Keramik, den Bestattungsbräuchen und gehören einer jüngeren Zeit an. Offensichtlich ist der Unterschied im Grundriß der Siedlungen, z.B. die černjahiv-Schicht der Siedlung Sokol - Ostrovy und die Schicht der zweiten Hälfte des 5. Jhs. der Siedlung Luka - KavetČinskaja (Vakulenko, Prihodnjuk 1985). All das ist mit einem Kontinuitätsmodell nicht zu erklären, sondern nur mit der Einwanderung einer neuen Bevölkerung, wie die Keramik erkennen läßt, vom Bereich der Kiewer Kultur. Das bestätigt auch das Grubenhaus in Teremcy, das eine zentrale Säule hat, was ein Charakteristikum der Kiewer Fundorte des linken Dnjepr-Ufers darstellt (Baran, Vakulenko 1990, 125). Nach der bislang genauesten Analyse der polnischen Gefäße des Prager Typs gelangte auch Parczewski zu der Auffassung, ihr Ursprung liege höchstwahrscheinlich in der Kiewer Kultur (Parczewski 1993, 65). Die Einführung der Steinöfen könnte ein Beweis dafür sein, daß die neuangesiedelten Slawen auf eine altsässige Bevölkerung gestoßen sind und von ihr diese Bauneuheit übernommen haben. Auf die Präsenz der Altsässigen würde auch der Fund der Keramikwerkstätte im Dorf Glubokoe hindeuten, wo im Keramikofen Gefäße provinziell-römischer Formen entdeckt wurden, im Gebäude selbst hingegen Gefäße der Prager-Kultur (Baran, Prihodnjuk 1990, 236).
Die Dnjestr-Gruppe der "Spät-černjahiv"-Fundorte des Typs Teremcy bildet in der Tat eine Gruppe der Endphase der Kiewer Kultur (Abb. 10: 1), die zugleich den Beginn dreier frühslawischer Kulturen darstellt: der Penkovka-, der KoloČin- und der Prager Kultur. Der Einfall der Hunnen, der die Goten verjagt, schafft im nördlichen und nordwestlichen Randbereich der černjahiv-Kultur einen Raum, der von den Slawen besiedelt wird. Damit begann eine langdauernde slawische Abwanderung, die den allmählichen Rückzug der germanischen Völker zu nutzen wußte. Neben dieser "äußeren" Kolonisation verlief auch ständig eine "innere", der für die Ethnogenese die gleiche Bedeutung zukommt, wie Lech Leciejewicz (1988) am Beispiel der westslawischen Ansiedler Nordrußlands zeigte. Durch die Eroberung immer neuer Gebiete wurden die kulturellen Unterschiede zwischen den Slawen immer größer und zur größeren Übereinstimmung trugen nicht einmal die inneren Wanderungen bei. Die Stufe der kulturellen Einheit der Kiewer-Kultur wurde niemals mehr erreicht, das Urslawische begann zu zerfallen. Bei den Slawen bildeten sich verschiedene Ethnosse heraus (vgl.: Leciejewicz 1989/1990).