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Zu den Gräberfeldstrukturen zähle ich: die einzelnen Gegenstände, die Verstorbenen, die Gräber auf den niedrigeren Strukturebenen, die Grabeinheiten mit den internen Verbindungen auf der folgenden übergeordneten Strukturebene, die dieser Ebene übergeordneten Gruppen von Gräbern mit gegenseitigen Verbindungen, das Gräberfeld als Einheit mit allen internen Verbindungen auf der obersten Ebene des Fundortes, das Gräberfeld und seine Verbindungen mit der Umgebung als Teil der Strukturen der lokalen oder sogar der regionalen Ebene.
Die Gebrauchsgegenstände, die man aus der Gemeinschaft der Lebenden nahm, können natürlich über einige darin verlaufende Prozesse Auskunft geben. Manche von ihnen sind schon gut erforscht. Diesen Aspekt untersuche ich nicht. Als man die Gegenstände in die Gräber legte, gab man ihnen eine neue Verbindung, weswegen sie ein Teil der Gräberstrukturen wurden. Die Frage nach dem Grund ist deshalb einer der Gegenstände meiner Untersuchung.
Das Gräberfeld ist ein Raum, den während seines Bestehens verschiedene Prozesse beinflussten und worin diese ihre Strukturspuren hinterlassen haben. Wenn wir die Informationen über die Vergangenheit daraus bekommen möchten, müssen wir wissen, um welche Prozesse sich hadelt. Die Archäologen beschäftigten sich bislang vor allem mit drei Komplexen von Prozessen, die die Gräberfelder geprägt haben sollen: mit den chronologischen Prozessen, mit den sozialen Prozessen und mit den Religionsprozessen. Die sozialen Prozesse können wir auch in den Prozess der gesellschaftlichen Schichtenbildung und in mutmaßliche ethnische Prozesse unterteilen. Die archäologischen Interpretationen stellten oft äußerst vereinfachte, eindeutige Verbindungen zwischen den Artefakten und den Prozessen her, die sie verursacht haben sollen. Im chronologischen Komplex gehört dazu die Definition der sog. chronologischen Gruppen, der Horizonte, die den zeitlichen Rahmen für die einzelnen Artefakte bestimmen sollen. Im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Schichtenbildung ist dies die Bestimmung der Kriterien für die gesellschaftliche Schichtung, bei den sog. ethnischen Fragen die Verbindung der einzelnen Artefakte mit bestimmten Ethnien (wobei der Inhalt dieses Begriffs unklar bleibt) und sehr ähnlich bei den religiösen Prozessen die Erklärung der einzelnen Struktur mit einem bestimmten Glaubensbekenntnis. So stellte sich manchmal eine scheinbare Interpretationsidylle her, wo ein "richtiger" Gegenstand am "richtigen" Ort die Zeit, die ethnische Zugehörigkeit und eventuell sogar den gesellschaftlichen Rang des Verstorbenen bestimmen konnte.
Die stille Voraussetzung, dass mehrere Gegenstände in einem Grab, mehr Gold, Silber, mehr exotische importierte Erzeugnisse auf einen Verstorbenen deuten, der im Leben der höheren Gesellschaftsschicht angehörte, ist nicht so zuverlässig, wie es vielleicht scheint. Denn die Statussymbole haben sich im Laufe der Zeit auch verändert. So stößt beispielsweise die berühmte Gesellschaftsgliederung der merowingischen Verstorbenen West- und Süddeutschlands auf der Grundlage ihres Grabbesitzes, die Rainer Christlein (1973) vorschlug, heute schon auf der grundlegenden, chronologischen Ebene auf Kritik. Ein Teil seiner Kriterien ist nämlich zeitlich und nicht sozial bedingt (vgl.: Steuer 1982, 324; Donié 1999, 131 f). Dass, die so bestimmten Qualitätsgruppen nicht rechtlich interpretiert werden können, hat schon Steuer bewiesen (Steuer 1982, 315 ff). Den geografischen Unterschied zwischen Alamannien und Bajuwarien, das nach seinen Maßstäben fast keine Vornehmen gehabt hätte, bemerkte er schon selbst (Christlein 1973, 172 f).
Die Grabstrukturen reflektieren, wie Heinrich Härke hinwies, die Ideen, und zwar auf eine selektive Weise, was eindeutige vereinfachte Erklärungen sehr gefährlich, sogar unmöglich macht (vgl.: Härke 1997, 24). Wie die Kritik ferner zeigte, sind solche vereinfachten Interpretationen nicht fähig, homonyme Strukturen zu erkennen und synonyme zu bestimmen. So wies beispielsweise Ellen-Jane Pader auf die alte Feststellung Peter Bogatyrevs aus dem Jahre 1937 hin, dass ein einzelner Teil der Tracht verschiedene Bedeutungen haben kann, abhängig von den Verbindungen, in denen er auftritt. Deswegen kann er in verschiedenen Gemeinschaften eine verschiedene Bedeutung haben (Pader 1982, 20; ähnlich Brather 2000, 162 ff). Sie konnte beweisen, dass eine kleine Zahl von Grabbeigaben nicht unbedingt eine niedrigere gesellschaftliche Rolle des Besitzers bedeutet (Pader 1982, 195). Sie stellte fest, dass es synonyme Strukturen gibt (vgl.: Pader 1982, 198). Auch die sog. chronologischen Gruppen können in Wirklichkeit gleichzeitige gesellschaftliche Gruppen sein (vgl.: Teran 1992). Desgleichen kann man mit Gegenständen nicht einfach das Glaubensbekenntnis des Besitzers bestimmen (vgl.: Schülke 1998; 1999). Die Zeit der einfachen, eindeutigen Interpretationen der einzelnen Fänomene ist im Schwinden begriffen. Die Graborientierungen werden schon lange nicht mehr mit der Richtung des Sonnenaufgangs am Tag des Begräbnisses erklärt, man ist sich vielmehr dessen bewusst, dass man andere Erklärungen suchen muss. Sehr interessante Lösungen schlagen beispielsweise Teresa Rysiewska und Jacek Wrzesiñski (1997) vor, die die verschiedenen Richtungen der Gräber des polnischen Gräberfeldes Dziekanowice aus dem 10.-11. Jh. eine symbolische Kennzeichnung der Menschen von verschiedener geografischer und sozialer Herkunft betrachten.
Bedeutet dies, dass alle bisherigen Erklärungen im Ganzen falsch sind? Keineswegs. Schließlich wissen wir von den Gräberfeldern einiger Epochen dennoch schon so viel, dass wir einige Prognosemodelle idealisierter Prozesse gestalten können, die uns helfen werden, die einzelnen dazugehörenden Strukturen zu erkennen.
Eine ausgesprochen umfangreiche archäologische Analyse der Möglichkeiten von Interpretationen der gesellschaftlichen Strukturen im Gebiet Mitteleuropas, vor allem im 1. Jahrtausend, aber auch davor, führte Heiko Steuer (1982) durch. Die soziale Struktur erfasste er im weitesten Sinne, sie umfasst alle Möglichkeiten der Analyse einer Bevölkerung: von der Einteilung nach Geschlechtern, Alter, politischen, rechtlichen, religiösen, beruflichen, wirtschaftlichen, ethnischen und anderen Gruppierungen. Seines Ermessens sind die Gräber ein reales Abbild, jedoch nicht der Gesellschaft, sondern ihrer Repräsentationswelt (Steuer 1982, 73). Ein Grab kann auf die gesellschaftliche Stellung deuten, mehrere Gräber dagegen auf die gesellschaftliche Struktur, aber nur, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt sind. Er selbst führt zwar 14 an, aber er betont, dass es in Wirklichkeit noch mehr gibt, so muss beispielsweise der Verstorbene im Jenseits die gleichen Gegenstände gebrauchen wie im Diesseits, alle Gräber müssen denselben diesseitigen Vorstellungen entsprechen, die Bestattungsbräuche müssen alle Beigaben erhalten, die Beigaben müssen aus dem tatsächlichen Besitz der Verstorbenen herrühren, die Verstorbenen sollen ein Recht auf die Beigaben haben, für das ganze Gräberfeld existierten über einen längeren Zeitraum die gleichen Normen hinsichtlich der Beigaben, es gab eine feste, starre Gesellschaftsstruktur, das soziale Aussehen musste dem tatsächlichen sozialen Rang entsprechen, die Fremden müssen auf die gleiche Weise bestattet sein wie die Einheimischen.... (Steuer 1982, 81 ff). Sehr wenig wahrscheinlich ist, dass irgendwo alle Bedingungen zugleich erfüllt wären. Nach Steuers Ansicht sei dies vielleicht nur im 6. Jh. und im frühen 7. Jh. im kontinentalen Teil des Gebiets der Reihengräberfelder der Fall. Dort hatte damals die Mehrzahl der Gräber Beigaben und erkennbar sind gewisse Normen (Steuer 1982, 86). Schon einleitend hebt Steuer hervor, dass die soziale Interpretation der archäologischen Gruppen nur unter Hinzuziehung der historischen Überlieferungen, der ethnografischen Beobachtungen und der Erkenntnisse der Soziologie möglich ist (Steuer 1982, 27), schließlich betont er, dass es notwendig sei, alle möglichen Relationen zugleich zu behandeln, was schon eine computergestützte Bearbeitung erfordert (Steuer 1982, 471).
Im Ganzen gibt es dennoch ziemlich viele verschiedene Ansichten über das Informationspotenzial der Gräber (siehe: Lull 2000). Während die Einen der Auffassung sind, dass das Grab Ausdruck des religiösen Glaubens sei, und sie sehr skeptisch der Möglichkeit gegenüberstehen, dass es hier Kriterien gebe, womit man die dazugehörige Gesellschaft der Lebenden rekonstruieren könnte, glauben die Anderen, dass die Bestattungsbräuche die gesellschaftliche Realität in all ihrer Komplexität widerspiegeln. Das Grab soll eine materielle Synthese der wichtigsten Merkmale sowohl des verstorbenen als auch des lebendigen gesellschaftlichen Wesens sein. So sei es möglich, seinen Status und damit die gesellschaftliche Organisation, worin der Status seine Gültigkeit hattte, zu bestimmen. Andere wiederum sind der Meinung, dass die Gräberstrukturen Schauplätze symbolischen Kräftemessens zwischen Einzelnen oder Gruppen seien. Wieder Andere betonen, dass erst ein Vergleich zwischen den Strukturen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten die Stufe der Verlässlichkeit der gesellschaftlichen Interpretation der Gräberstrukturen zu zeigen vermag.
Die Gräberfeldstrukturen können wir bedingt unter zwei Aspekten beobachten: dass sie die Menschen mit dem Gedanken an den Bedarf des Toten in der Existenz nach dem Tode geschaffen haben und dass sie damit die Rolle des Verstorbenen in der Welt der Lebenden ausdrücken konnten. Wenn es in der Welt der Toten den tapferen Kämpfern besser erging als denjenigen, die nicht im Kampf gefallen sind, war es für die letzteren besser, dass sie wenigstens auf heroische Weise begraben wurden (vgl.: Teran 1997). Die Waffen in den Gräbern bedeuten keinesfalls unbedingt, dass sie der Tote im Leben irgendwann einmal auch gebraucht hatte, zugleich besagt es aber, dass die Kämpfer in der Welt der Lebenden existierten. Was geschieht aber, wenn sich der Glauben durchsetzt, dass die Menschen nach dem Tode gleich sind, die Angehörigen des Toten aber noch immer seine Position in der Welt der Lebenden hervorheben möchten, was sich offensichtlich in der Zeit der Durchsetzung des Christentums zutrug. Hier erscheint mir der Gedanke möglich, dass am Punkt des Überganges zur christlichen Vorstellung des Todes eine Epoche existierte, als die Gegenstände im Grab mehr als jemals zuvor oder später wenigstens bis zu einem gewissen Grad wirklich die gesellschaftliche Rolle des Verstorbenen zur Zeit seines Todes reflektieren.
Das Gräberfeld schaffen die Lebenden. Darin verweben sie ihre Vorstellungen vom Tod, von ihrer Beziehung dazu und von der Beziehung der Toten zum Tod und zu den Lebenden. Die Lebenden erhalten ihre Vorstellungen aus der sichtbaren Welt. All das können wir zu der Feststellung zusammenfassen, dass das Gräberfeld eine Struktur ist, die in einer Gemeinschaft von Lebenden im Prozess ihres Verständnisses des Todes entstanden ist.
Unter diesem Gesichtswinkel sind die Gräberfelder also Strukturen, die mit den Lebenden zusammenhängen und so mancherlei über sie aussagen können. Auf der anderen Seite hat wirklich kein Verstorbener selbst etwas ins Grab gelegt und nichts davon, was er im Grab hat, kann er so gebrauchen, wie es die Lebenden tun. Der Gegenstand, den man aus der Welt der Lebenden genommen und dem Toten gegeben hat, erhält also eine übertragene, symbolische Bedeutung.
Das Gräberfeld ist deswegen mit Symbolen überhäuft. Nicht überflüssig ist die Frage, wie diese Symbole entstanden sind. Die Symbole können auf sehr einfache Weise entstehen, durch Absprache, wie sich ein Staat für eine Hymne, eine Fahne, ein Wappen usw. entscheidet. Jedoch bin ich der Auffassung, dass zumindest die Mehrzahl der Symbole, die wir auf den Gräberfeldern entdecken, auf eine andere Weise entstanden ist, und zwar durch den sehr langen Prozess der Erklärung des Unbekannten durch Bekanntes. Dabei wurde die ursprüngliche Bedeutung oft vergessen. Solche Symbole sind eigentlich Strukturen, die Spuren eines gesellschaftlichen Prozesses darstellen, womit die Menschen zunächst ihre Beziehung zur Natur, dann noch untereinander regelten.
Wenn wir uns erinnern, dass auch Buchstaben eine Art Symbole darstellen, sehen wir, dass der Unterschied zwischen den schriftlichen und den nichtschriftlichen Kulturen eher künstlich ist als nicht. Weil auch die Gräberfeldsymbole sind eine eigentümliche Aufzeichnung, die wir lesen lernen müssen. Dabei können uns die Wissenschaften behilflich sein, die sich mit den Symbolen beschäftigen, von der Semiotik bis zur Mythologie. Ohne die Kenntnis der Symbolsprache bleiben die Symbolstrukturen der Gräberfelder für uns stumm. Deshalb habe ich in dem kleinstmöglichen Ausmaß in die Untersuchung auch diesen Aspekt miteinbezogen. Dabei ging ich von folgenden Beobachtungen aus (vgl. zuletzt: Šmitek 1998):
Diese beiden Beobachtungen ermöglichen uns, dass wir (mit Vorbehalt) die Strukturen der älteren und der jüngeren sowie der geografisch entfernten Gräberfelder vergleichen können. Vorausgesetzt sie sind in übereinstimmenden Prozessen entstanden.
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