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EINFÜHRUNG

IN DIE INFORMATISCHE ANALYSE

Andrej Pleterski, Wien 2002

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1.1. Der Erkenntnisprozess

Untersuchung ist sowohl das Resultat einer guten Forschungsstrategie wie auch der Kenntnisse, der Erfahrungen, des Einfallsreichtums und der Fantasie des Forschers. Da die letzteren Momente von jedem Einzelnen abhängig sind, werde ich im Folgenden nur von der Strategie sprechen.



Abb 1: Spirale des Erkenntnisprozesses (bearbeitet nach: Gardin 1987, 199).

Für eine vereinfachte Darstellung ist das Schema (Abb. 1) passend, das Gardin und Klejn unabhängig voneinander entwickelt haben. Der Verlauf des Erkenntnisprozesses (in Wirklichkeit handelt es sich um eine Reihe von zusammenhängenden und voneinander abhängigen Prozessen - Abb. ) verläuft kreisförmig und hat auf jeder Ebene mehrere Schritte. An seinem Anfang steht die subjektive Entscheidung des Forschers, die von allen vorangehenden Erfahrungen, dem Wissen und sogar den glücklichen Umständen und anderem abhängen, was einige mit den Begriffen Intuition oder Vorwissen bezeichnen (vgl.: Klejn 1988, 364). Damit entscheidet man sich für die Auswahl des Materials, das man daraufhin bekommen muss. Die Materialsammlung ist häufig ein anspruchsvolles und zeitraubendes Unterfangen. Es gibt nicht wenige Forscher, die diese Arbeitsstufe nie überwinden, aber dennoch anderen den Weg bahnen. Wenn man das Material hat, dann folgt die Kritik, die die Beschreibung, die Überprüfung und die Klassifikation dieses Materials umfasst. Man findet dafür den räumlichen und zeitlichen Rahmen, man versucht ihm noch andere Informationen zu entlocken. Kurz gesagt, man muss das Material dazu bringen, dass es zu sprechen beginnt. Seine Sprache übersetzen wir in eine Geschichte, die wir Interpretation, Erklärung, unsere Vorstellung der Vergangenheit nennen.

Der Kreischarakter ist erst im folgenden Schritt, Überprüfung genannt, erkennbar. Unsere Interpretationen können wir nämlich nur so bestätigen, dass wir sie erneut im Material überprüfen, denn die Interpretation ist zugleich ein Prognosemodell, jedoch ist es uns in diesem Schritt viel klarer, was für ein Material wir benötigen und auch bei den folgenden Schritten können wir die erhaltenen Erfahrungen integrieren. Das Verfahren wiederholen wir, solange es Material gibt, das wir noch nicht bearbeitet haben, und solange Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. In praktischer Hinsicht bedeutet dies, dass in einigen Details unsere Arbeit bald vollbracht ist, im Ganzen ist sie aber unendlich. Wir wissen zwar immer mehr, aber alles werden wir niemals wissen.

Wir müssen überprüfen die Zugehörigkeit der Strukturen zu den einzelnen Prozessen. Durch gute Kenntnisse der Strukturen können wir die Prozesse besser rekonstruieren, durch gute Kenntnisse der Prozesse können wir die dazugehörenden Strukturen besser bestimmen. Auf eine bessere Kenntnis der Problematik zu warten, führt zu nichts. Ohne in den Zyklen des Erkenntnisprozesses fortzuschreiten, werden wir auf einer Stelle treten. Wir müssen uns einfach damit abfinden, dass es am Anfang des Weges noch viele falsche Interpretationen gibt. Wesentlich ist, sie als solche erkennen zu können.



Abb. 2: Verflechtung gleichzeitig funktionierender Erkenntnisprozesse.

Der Erkenntnisprozess muss anpassungsfähig und erlernbar sein und muss sich zugleich auf verschiedenen Ebenen vollziehen. Die Erkenntnisse werden ineinander verflochten und befruchten sich so gegenseitig (Abb. 2).

1.2. Artefakte in Prozessen

Ein Artefakt kann ein Informationsträger von mehreren Prozessen sein, die es in der Zeit seines Bestehens durchläuft.

Obwohl die Artefakte auf verschiedenen Strukturebenen bestehen, verändern sie sich mehr oder weniger durch die angeführten Prozesse. Die folgende Zeichnung zeigt einige mögliche Strukturebenen der Artefakte, wie man sie wahrnehmen kann (Abb. 3).



Abb. 3. Einige möglichen Strukturebenen des Bestehens der Artefakte.

Die Archäologie beschäftigt sich größtenteils mit der Erforschung der Ebenen 1 bis 5: Fragment, Gegenstand, Fundzusammenhang, Fundort, Region. Lange Zeit war vor allem die Erforschung der Ebene der Gegenstände vorherrschend. Die Artefakte der höheren Ebenen sind in der Regel auch die Umgebung der Artefakte der niedrigeren Ebenen. In diesem Fall stellen beide die Oberstruktur mit neuen Informationen dar, wovon man auch etwas mehr über die Artefakte niedrigerer Niveaus erfahren kann: über ihre Produktion, wenn das Artefakt beispielsweise in einer Werkstätte gefunden wurde - über die Distribution, wo die Verbreitungskarten den Lebensraum eines Typs von Artefakten aufzeigen - über die Verwendung, wobei die Lage im Fundzusammenhang wichtig ist - über den Verfall. Die Umgebung eines Artefaktes ist aber nicht nur ein Artefakt höherer Ebene, sondern auch der Raum im Allgemeinen und die Zeit. Das Artefakt stellt mit seiner Umgebung Beziehungen her, deswegen kann man mit seiner Hilfe auch auf die Umgebung schließen und umgekehrt, mit Hilfe der Umgebung kann man auf das Artefakt schließen.



Abb. 4. Prozess und seine Spuren in verschiedenen Strukturebenen des Bestehens der Artefakte.

Da ein einzelner Prozess verschiedene Existenzebenen der Artefakte beeinflussen konnte, können alle diese Informationen über denselben Prozess enthalten (Abb. 4). Deswegen muss man für möglichst gute Kenntnisse eines einzelnen Prozesses und die entsprechenden Informationen gleichzeitig alle Niveaus der Artefakte untersuchen, wo der Prozess seine Spuren hinterlassen haben könnte. Da die höheren Strukturebenen auch Informationen enthalten, die auf den niedrigeren nicht vorhanden sind, eröffnet die Erforschung der Oberstrukturen neue Erkenntnismöglichkeiten. So wird es immer offensichtlicher, dass die Archäologie mit der Erforschung auch höherer Niveaus der Existenz von Artefakten sogar auf die Prozesse schließen kann, die sie zuvor auf der Ebene der Gegenstände nur erraten konnte. So z.B. stellt Heiko Steuer fest, dass für die Untersuchung der Existenz des Adels wichtiger die Forschung der Gräberfeldstrukturen als der Beigaben sei (Steuer 1982, 361), und schließt, dass bei der Erforschung der Sozialstrukturen gleichzeitige Behandlung aller möglichen Relationen notwendig sei (Steuer 1982, 471). Im Gräberfeld können wir verschiedene Niveaus der Existenz archäologischer Artefakte beobachten, die nach oben bis zur Ebene des Fundortes als Ganzem reichen. Die bisherigen Forschungen konzentrierten sich größtenteils vor allem auf die Ebene der Gegenstände und der Fundkomplexe - der Grabeinheiten. Der Übergang der archäologischen Beobachtungen nur von der Ebene der Gegenstände und der einzelnen Gräber zur höheren Ebene des Fundortes als Ganzem oder sogar der Landschaft wird heute immer selbstverständlicher. Den Veröffentlichungen des Materials folgen die Darstellungen der Entwicklungen der Fundorte (vgl.: Donié 1999).

Die Aufgabe des Archäologen bei der Interpretation des Materials ist dem Anschein nach leicht: die Strukturen und die Prozesse zu verbinden, die sie geschaffen haben, und damit Informationen über die Vergangenheit zu bekommen. Das Hauptinterpretationsproblem bleibt jedoch bestehen: wie die Struktur und der einzelne Prozess zu verbinden ist, ohne in die Falle der homonymen Strukturen zu geraten und umgekehrt, wie man mit Hilfe der Prozesse synonyme Strukturen erkennt. Daneben kann dieselbe Information je nach den verschiedenen Verbindungen zu verschiedenen Prozessen gehören.

1.3. Quellenkritik

Die Informationen über einzelne vergangene Prozesse gelangen durch zahlreiche Filter zu uns. Den ersten Filter stellen schon Strukturen dar (in engerer Wahl, die uns hier interessiert, die Artefakte), die der Prozess geschaffen hat. Der zweite Filter ist das Geflecht der Prozesse selbst, die auf das Artefakt Einfluss nahmen. Jeder jüngere Prozess veränderte ein wenig das Artefakt und zerstörte einen Teil der Informationen über die älteren Prozesse. Mit einem Wort bezeichnen wir dieses Geflecht als Erhaltungszustand. Der folgende Filter ist die Tätigkeit des Forschers, wie er weiß, die Informationen zu suchen, sie von einem Medium ins andere zu übertragen, wie er sie zusammensetzt, wie er sie versteht. Der letzte Filter ist der Leser, der die Informationen über die Vergangenheit aus den Produkten des Forschers schöpft und seine eigene Interpretation aufstellt.

Prozess -> Artefakt -> Erhaltungszustand -> Forscher -> Leser

Bei jedem Übergang von jedem einzelnen Informationsfilter zum anderen verändert sich ein wenig die ursprüngliche Struktur, deswegen verliert sie einen Teil der alten Informationen, erhält aber einige neue. Die Strukturen, die zu uns gelangen, können deshalb im Vergleich zum Anfangszustand verändert oder mangelhaft sein. Mit der Entfernung der Folgen der Übergänge durch die Informationsfilter beschäftigt sich die sog. Quellenkritik der einzelnen historischen Wissenschaften.

1.3.1. Arbeit mit mangelhaften Strukturen

Die Artefakte, die wir bearbeiten, sind nur mangelhafte Spuren ehemaliger Prozesse. Wenn wir einen Prozess rekonstruieren wollen, müssen wir eine möglichst vollständige Kette von Strukturen, die er hinterlassen hat, zur Verfügung haben. Dabei behelfen wir uns mit der Erfahrung, dass übereinstimmende Prozesse übereinstimmende Strukturen hinterlassen. Aus mehreren übereinstimmenden Strukturen können wir eine idealisierte Struktur rekonstruieren und damit den idealisierten Prozess feststellen. Damit können wir die fehlenden in der erhaltenen Struktur rekonstruieren. Auf diesem Verfahren gründet die Vergleichsmethode. Bei dieser übertragen wir das, was wir von den übereinstimmenden Strukturen wissen, die wir in Typen klassifiziert haben, auf die mit ihnen übereinstimmenden Strukturen, die wir von neuem erforschen und die in übereinstimmenden Prozessen entstanden sein sollen. Die Zuverlässigkeit der Methode ist abhängig von der Feststellung der Kongruenz (Übereinstimmung) und diese von der Größe der Struktur (gemeint ist die Zahl ihrer Eigenschaften und ihrer Verbindungen), die wir vergleichen.

Die idealisierte Struktur können wir zwar schon auf der Grundlage eines Artefaktes bestimmen, aber erst die Wiederholung offensichtlich kongruenter Strukturen führt uns gewöhnlich zu der Idee von der idealisierten Struktur. Erst wenn wir genügend idealisierte Strukturen haben, können wir den idealisierten Prozess (Prozesse) rekonstruieren und sehen, ob wir die Verbindungen zwischen den Prozessen und den Strukturen überhaupt richtig erkannt haben. Unsere Bemühungen waren demnach vergeblich, wenn wir unseren Erkenntnisprozess nicht wenigstens mit einem Überprüfungsschritt abgeschlossen haben. Erst darin beginnen wir die homonymen Strukturen zu erkennen und die synonymen zu finden.



Abb. 5. Spuren eines historischen Prozesses in verschiedenen Arten von historischen Strukturen.

Mit verschiedenen Arten von historischen Strukturen (Quellen) beschäftigen sich die verschiedenen historischen Wissenschaften. Die Erwartung, dass die tatsächlichen historischen Prozesse nur in einer Art der historischen Quellen (Strukturen) Spuren hinterlassen haben, ist unwahrscheinlich und steht im Widerspruch zu den bisherigen Erfahrungen. Das bedeutet, dass sich die verschiedenen historischen Wissenschaften mit denselben Prozessen beschäftigen. Daraus folgt, dass derselbe Prozess Spuren in Form der Struktur hinterlassen hat, die in den verschiedenen Arten der historischen Quellen zugleich erhalten sein kann (Abb. 5). Gewöhnlich ist sie in keiner Art vollständig erhalten, sondern nur zum Teil. Zugleich ist diese Unvollständigkeit verschieden, das bedeutet, dass etwas fehlt, was woanders vorhanden ist. Wenn aber der Grad der Kongruenz der Strukturreste nach den einzelnen Quellenarten zugleich so groß ist, dass wir voraussetzen können, dass es sich um dieselbe Struktur handelt, können wir die einzelnen Stücke zu einem Ganzen zusammensetzen und damit die ursprüngliche Struktur rekonstruieren. Wir können sie als idealisierte Struktur gebrauchen, womit wir viel besser die kongruenten Strukturen bestimmen als zuvor nur mit den einzelnen Teile. Obwohl es viel schwieriger ist, eine idealisierte Struktur mit verschiedenen Arten von Quellen zu schaffen als nur mit kongruenten Strukturen einer Art von Quellen, ist das Resultat der Mühe wert, denn es ist viel fester und umfangreicher, als es ansonsten gewesen wäre..



Abb. 6. Spuren der lokalen und globalen Ereignisse in verschiedenen Strukturebenen.

Die Zahl der Einheiten und ihrer Beziehungen vergrößern eben die Zahl der Eigenschaften der Struktur. Deswegen haben übergeordnete Strukturen alle Eigenschaften der untergeordneten Strukturen und noch zusätzliche. Die über- und die untergeordneten Strukturen stimmen in allen Eigenschaften der untergeordneten Struktur überein. Globale Ereignisse spiegeln sich stets auch lokal wider und auch lokale Ereignisse hinterlassen Spuren in ihrer Umgebung (Abb. 6). Die Verbindung ermöglicht uns eine Rekonstruktion etwaiger fehlender dazwischenliegender Ebenen. Falls die Struktur der Ebenen A und C erhalten ist, fehlt sie aber bei der Ebene B, kann sie aus dem Unterschied zwischen A und C rekonstruiert werden (vgl.: Jarc 1999, 20 f). Deswegen wird Interpretationspotential unserer Arbeit stark verringert, wenn wir uns streng an nur eine Artefaktebene halten.

Im Folgenden werde ich mich vor allem den folgenden Artefaktebenen widmen: dem Gegenstand, dem Fundzusammenhang und dem Fundort (Abb. 3). Daneben werde ich mich nur auf den Raum eines Gräberfeldes und seiner unmittelbaren Umgebung beschränken. Jeder Fundort hat seine Besonderheiten und erfordert deswegen einen seiner Struktur angepassten Ansatz.
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